Hintergrund

Das Fohlenprojekt Ganymed wurde im Oktober 2017 in der kleinen Schweizer Stadt Schaffhausen gegründet. Es ist aus der Überzeugung heraus entstanden, dass es ethisch nicht vertretbar ist, gesunde, drei bis sechs Monate alte Fohlen zu schlachten, weil sie Überschuss eines Zuchtprogrammes sind. Es ist uns ein grosses Anliegen, in der heutigen Zeit auf die notwendigen Anpassungen in der Denkweise der Menschen zum Status der Tiere aufmerksam zu machen. Doch das reicht nicht. Es ist notwendig, individuelle Tiere unmittelbar aus einer für sie lebensbedrohlichen, ihre Würde verletzenden Situation zu befreien. Das Fohlenprojekt agiert auf beiden Ebenen – durch die Aufnahme bedrohter Tiere und durch das Informieren über die Situation.

Das Fohlenprojekt entstand aus einer intensiven Beschäftigung mit Tigerschecken. Diese seltene Färbung kommt bei wenigen Pferderassen Europas vor, unter anderem bei den Norikern, einer alten Kulturrasse Österreichs. Die Zucht von Tigerpferden ist eine Art Glücksspiel, denn lediglich ein Viertel aller Anpaarungen ergibt die gewünschte gefleckte Färbung. Ein grosser Teil der Nachkommen wird einfarbig geboren, ein anderer Teil kommt weiss oder fast weiss zur Welt. Die Weissgeborenen und alle nicht perfekt durchgepunkteten Fohlen werden aussortiert. Genauso wie hunderte Andere, entweder weil sie eine „Fehlfarbe“ haben oder ganz einfach weil sie „über“ sind. Insbesondere die Hengstfohlen sind Überschuss, denn von ihnen braucht es nur wenige, um eine Abstammungslinie züchterisch zu erhalten. Alle anderen müssen im Herbst weg, denn die Stuten sind bereits wieder trächtig und im Stall ist kein Platz für die letztjährige Fohlengeneration. Die meisten Fohlen gelangen via Pferdehändler in einen Schlachthof oder in die Mast nach Italien.

Erschüttert über dieses System des systematisch-vernichtenden Umgangs mit Fohlen, kaufte Irina im September 2016 zwei Noriker-Fohlen via eine Vermittlungsseite auf Facebook. Die beiden Fohlen hatten bereits einen Pferdemarkt, einen Händler und einige Wochen im Stall des Pferdeschlachthauses hinter sich und wurden nun mit verängstigten Augen auf einem Foto einer Pferderettungs-Webseite präsentiert. Dort konnte man sie kaufen: ohne Kaufvertrag und ohne Information darüber, in welch fürchterlichem Zustand die Fohlen sind. Der Transport wurde organisiert und am 12. Oktober 2016 stiegen Gregor und Gilgamesh in ihrem neuen Zuhause aus dem Hänger. Sie boten einen miserablen Anblick. Massiv verängstigt, hatten sie eine Lungenentzündung, waren total verwurmt, der eine hatte Leberegel und geschwollene Beine. Sie hatten sich seit Wochen nicht mehr richtig bewegen können. Beide liessen sich kaum anfassen.

Die Leute im Stall sowie der Tierarzt erklärten Irina für verrückt, solche „Dinger“ aufziehen zu wollen. Es war ungewiss, ob das eine Fohlen sich von seinem Zustand erholen würde. Die Aufnahme solch arg strapazierter Jungtiere bedingt sehr viel Zeit, Energie und hohe Kosten. Doch das Aufblühen der beiden Fohlen im darauffolgenden Frühling war es wert, für ihre Leben gekämpft zu haben.

So nahm das Fohlenprojekt Gestalt an, die Ziele wurden klarer und es entstand die Vision eines Hofes, wo Menschen und Pferde sich auf eine würdevolle und achtsame Art neu begegnen können. Die kommenden Generationen von Ganymed-Fohlen sollten wenn möglich nicht bereits so weit unten angekommen sein wie unsere ersten beiden. Sie sollten vorher ins Leben zurückgeführt werden, bevor sie kaum noch als lebende Pferde erkennbar waren.

Auch sollte sich Ganymed Jungpferden aus anderen, offensichtlich prekären Situationen annehmen. Dazu gehören Tierschutzfälle oder ausgesetzte Fohlen, wie sie beispielsweise in Irland zu hunderten zu finden sind. So haben wir bislang Pferde aus Österreich, der Schweiz und aus Irland aufgenommen.

Die Vision von Ganymed ist ein Leben in Würde und gegenseitiger Achtung. Die prekären Situationen, denen die Pferde (und viele andere Tiere) allzu häufig weltweit ausgesetzt sind, sind Ausdruck einer Gesellschaft, die den Respekt vor dem Leben ganz allgemein verloren hat. Tiere und Menschen bilden ein gemeinsames, komplexes soziales System, das sich gegenseitig bedingt. Wir haben die Wahl, es in Schönheit und Würde, oder eben in Vernachlässigung, Leid und Tod zu gestalten. Wir bilden ein grosses Ganzes, zu dem wir alle gemeinsam beitragen können.